Professoren aus Deutschland richten Protestschreiben an iranische Regierung

46 namhafte Professoren protestieren gegen die systematische Verletzung des Rechts auf Universitätsbildung im Iran. „Die universelle Achtung der Menschenrechte auch auf dem Bildungssektor und die Freiheit von Forschung und Lehre sind uns als Unterzeichner … von größter Wichtigkeit“, heißt es in einem offenen Brief an den iranischen Wissenschaftsminister Kamran Daneschdschu. Die Achtung der Menschenrechte muss „als Wertekatalog für die internationale Hochschulzusammenarbeit gelten“.

Zu vier bzw. fünf Jahren Haftstrafe verurteilte Dozenten des Bahai Institute for Higher Education im Iran. (Obere Reihe, v.l.nr.) Mahmoud Badavam, Ramin Zibaie, Riaz Sobhani, Farhad Sedghi; (untere Reihe, v.l.n.r.) Noushin Khadem, Kamran Mortezaie und Vahid Mahmoudi.

Die an den Iran gerichtete Anmahnung der Professoren aus den Fachbereichen Politik, Recht, Medizin, Philosophie, Pädagogik sowie Natur– und Religionswissenschaft ist eine Reaktion auf die zunehmende Drangsalierung des Hochschulsektors im Iran, die sich am Fall der jüngsten Übergriffe auf das Bahá’í Institute for Higher Education (BIHE) zuspitzt. Sieben Dozenten der Einrichtung wurden Mitte Oktober von einem Revolutionsgericht in Teheran zu vier– bzw. fünfjährigen Haftstrafen verurteilt. BIHE wurde inzwischen durch das iranische Wissenschaftsministerium für illegal erklärt.
„Wir fordern die sofortige Freilassung dieser zu Unrecht Inhaftierten und zugleich das uneingeschränkte Recht auf Hochschulbildung für alle Bürger Ihres Landes‚, schreiben die Professoren an den verantwortlichen Minister Daneschdschu. Gegen die Verurteilung der sieben Bahá’í protestierte am 21. Oktober 2011 auch der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning.
„Die Bahá’í sind nicht die einzigen Opfer einer immer stärker umsichgreifenden Islamisierung iranischer Universitäten‚, betont Prof. Ingo Hofmann, Sprecher für Menschenrechtsfragen der Bahá’í-Gemeinde Deutschland. „Die iranische Regierung setzt zunehmend den Ausschluss von Bildung als Mittel ihrer Politik der Unterdrückung ein. Die Absicht der Regierung, an den Universitäten eine zweite Kulturrevolution zu vollziehen, betrifft auch studentische Aktivisten, Andersdenkende, missliebige Professoren oder Menschenrechtsverteidiger. Die Bahá’í-Gemeinde Deutschland begrüßt daher sehr, dass sich diese namhaften Professoren für die Verteidigung des Menschenrechts auf Bildung und Achtung vor Minderheiten einsetzen. Die Bahá’í sind nur ein Beispiel, wenn auch das drastischste“, so der Sprecher.
Hintergrundinformation
Das Bahá’í-Institute for Higher Education (BIHE) ist ein informelles Bildungsnetzwerk der iranischen Bahá’í-Gemeinde. Es entstand 1987 als Antwort auf iranische Bestrebungen, den Bahá‘í den Zugang zu Universitäten zu verweigern.
Beobachter registrieren nicht erst seit der zweiten Amtszeit Präsident Ahmadenidschads umfangreiche Säuberungsaktionen an iranischen Universitäten. Verantwortlich dafür ist das iranische Wissenschaftsministerium, das Forschung und Lehre gemäß der ideologischen Ausrichtung des Regimes bis hin zu Zwangsexmatrikulationen und Entlassungen dirigiert. Es arbeitet eng mit dem Geheimdienstministerium zusammen, das missliebige Studenten und Professoren überdies unter Druck setzt. An den Universitäten selbst sorgen berüchtigte Ordnungskomitees für die Durchsetzung strenger Kleiderordnung und Geschlechtertrennung. Bildungsforscher sehen in der staatlichen Repression den Grund für einen anhaltenden Qualitätsverlust iranischer Forschung und Lehre.
Die herrschende Staatsdoktrin im Umgang mit den über 300.000 Bahá’í im Land sieht vor, dass Bahá’í „von Universitäten verwiesen werden, entweder im Aufnahmeverfahren oder während des Studiums, sobald bekannt wird, dass sie Bahá’í sind.‚ Dies belegt das sog. Golpeygani-Memorandum, das auf Antrag des Obersten Führers, Ali Khamenei, und des damaligen Präsidenten Rafsanjani durch den Obersten Rat der Iranischen Kulturrevolution (ISRCC) im Jahr 1991 formuliert wurde. Es diente danach als Grundlage für zahlreiche Entscheidungen, Bahá’í aus Universitäten zu entfernen.
Zu den Unterzeichnern gehören neben dem Absender Prof. Gerd Röpke von der Universität Rostock unter anderem Prof. Dr. Uwe Backes vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung, Dresden, Prof. Dr. Karl-Peter Fritzsche vom Institut für Politikwissenschaft an der Universität Magdeburg, Prof. Dr. Christian Pfeiffer, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts in Hannover, Prof. Dr. Thomas Schirrmacher, Sprecher für Menschenrechte der Weltweiten Evangelischen Allianz, sowie Prof. Dr. Ernst–Ulrich von Weizsäcker, Vorsitzender des International Ressource Panel.
Wir dokumentieren den Brief im Wortlaut:

Seine Exzellenz
Kamran Daneshjoo
Minister für Wissenschaft, Forschung und Technik
Islamische Republik Iran
Rostock, im Oktober 2011
Exzellenz,
als unterzeichnende Hochschulprofessoren stellen wir fest, dass die Förderung von Bildung bis zum Hochschulstudium zu den höchsten Kulturgütern eines jeden Landes zählen muss. Sie legt den Grund für Entwicklung und Wohlfahrt eines jeden Volkes.
Deshalb sind wir schockiert über die Nachricht, dass in Ihrem Land – einer der ältesten Kulturnationen der Menschheit – höhere Bildung jungen Menschen verschiedener Gruppierungen von Staats wegen verwehrt wird. Unter ihnen sind eine Vielzahl von Bahá’í-Jugendlichen, die seit über drei Jahrzehnten systematisch durch die Behörden Ihres Landes am Hochschulstudium gehindert werden. Die von den Bahá’í gegründete informelle Ersatzeinrichtung „Bahá’í Institute of Higher Education“ (BIHE) wurde jüngst für illegal erklärt. Gegen sieben ihrer bereits im Mai dieses Jahres inhaftierten Dozenten und Leiter wurden vor dem Revolutionsgericht in Teheran vor wenigen Tagen vier bzw. fünfjährige Haftstrafen erlassen – dem Vernehmen nach wegen angeblicher „regimefeindlicher Tätigkeiten“.
Wir fordern die sofortige Freilassung dieser zu Unrecht Inhaftierten und zugleich das uneingeschränkte Recht auf Hochschulbildung für alle Bürger Ihres Landes, im Einklang mit von Ihrem Land ratifizierten internationalen Normen, die „das Recht eines jeden auf Bildung“ anerkennen (Artikel 13 ICESCR) und es Staaten untersagen, „einer Person oder Personengruppe den Zugang zum Unterricht – gleichviel welcher Art oder Stufe – zu verwehren“ sowie diese „auf einen niedrigen Bildungsstand zu beschränken“ (UNESCO-
Übereinkommen gegen Diskriminierung im Unterrichtswesen, Paris, 14. Dezember 1960).
Die universelle Achtung der Menschenrechte auch auf dem Bildungssektor und die Freiheit von Forschung und Lehre sind uns als Unterzeichner dieses Briefes von größter Wichtigkeit. Sie müssen nach unserer Überzeugung auch als Wertekatalog für die internationale Hochschulzusammenarbeit gelten, zu der seit Jahren auch enge und geschätzte Bande zwischen zahlreichen Hochschulen Ihres Landes mit Partnerhochschulen in der Bundesrepublik Deutschland zählen.
Prof. Dr. U. Backes, Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung, Technische Universität Dresden
Prof. Dr. D. Bauer, Institut für Physik, Universität Rostock
Prof. Dr. M. Dreyer, Institut für Politikwissenschaft, Friedrich-Schiller Universität Jena
Prof. Dr. J. Engels, Institut für Organische Chemie und
Chemische Biologie, Goethe-Universität Frankfurt
Prof. Dr. K.-P. Fritzsche, Institut für Politikwissenschaft, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Prof. Dr. M. Göbel, Geschäftsführender Direktor, Institut für Organische Chemie und Chemische Biologie, Goethe-Universität Frankfurt
Prof. Dr. R. Gröschner, Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie, Friedrich-Schiller-Universität Jena
Prof. Dr. med. P. Hadji, Universitätsklinikum Giessen und Marburg GmbH, Philipps-Universität Marburg
Prof. Dr. J. Ev. Hafner, Institut für Religionswissenschaft, Universität Potsdam
Prof. Dr. A. Haratsch, Lehrstuhl für Deutsches und Europäisches Verfassungs-und Verwaltungsrecht sowie Völkerrecht, Fernuniversität Hagen
Prof. Dr. A. Hartmann, Geschäftsführender Direktor, Seminar für Volkskunde/Europäische Ethnologie, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Prof. Dr. I. Hofmann, Helmholtz-Institut Jena und Institut für Angewandte Physik, Goethe-Universität Frankfurt
Prof. Dr. em. E. Kankeleit, Institut für Kernphysik, Technische Universität Darmstadt
Prof. Dr. em. J. Kiefer, Strahlenzentrum, Justus-Liebig-Universität Giessen
Prof. Dr. mult. N. Knoepffler, Lehrstuhl für Angewandte Ethik, Friedrich-Schiller-Universität Jena
Prof. Dr. P. Kunzmann, Ethikzentrum Jena, Friedrich-Schiller-Universität Jena
Prof. Dr. em. K. Lüdicke, Institut für Kanonisches Recht, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Prof. Dr. S. Magen, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Rechtsphilosophie und Rechtsökonomik, Ruhr-Universität Bochum
Prof. Dr. J. Maruhn, Institut für Theoretische Physik, Goethe-Universität Frankfurt
Prof. Dr. E. Matthes, Lehrstuhl für Pädagogik, Universität Augsburg
Prof. Dr. E. Meilhammer, Lehrstuhl für Pädagogik, Universität Augsburg
Prof. Dr. U. Meixner, Institut für Philosophie, Universität Augsburg
Prof. Dr. J. Meyer-ter-Vehn, Max-Planck-Institut für Quantenoptik, Technische Universität München
Prof. Dr. em. R.-E. Mohrman, Seminar für Volkskunde/ Europäische Ethnologie, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Prof. Dr. em. H. Moschtaghi, Katholische Fachhochschule für Sozialwesen, Freiburg
Prof. Dr. W.-U. Müller, Institut für medizinische Strahlenbiologie, Universität Duisburg-Essen
Prof. Dr. P. Mulser, Institut für Angewandte Physik, Technische Universität Darmstadt
Prof. Dr. iur. J. Oebbecke, Geschäftsführender Direktor, Kommunalwissenschaftliches Institut, Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Prof. Dr. C. Pfeiffer Direktor, Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen e.V.
PD. Dr. M. Perkams, Institut für Philosophie, Friedrich-Schiller-Universität Jena
Prof. Dr. A. Prengel, Institut für Grundschulpädagogik, Universität Potsdam
Prof. Dr. em. G. Röpke, Institut für Theoretische Physik, Universität Rostock, Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften
Prof. Dr. M. Roth, Institut für Kernphysik, Technische Universität Darmstadt
Prof. Dr. S. Scharrer, Fakultät für Sozialwissenschaften, Evangelische Hochschule Nürnberg
Prof. Dr. theol. Dr. phil. T. Schirrmacher, Rektor des Martin Bucer Seminars, Direktor des Internationalen Instituts für Religionsfreiheit der Weltweiten Evangelischen Allianz
Prof. Dr. P.-P. Schnierer, Anglistisches Seminar, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Prof. Dr. em. F. Sobhani, Institut für Iranistik, Freie Universität Berlin
Prof. Dr. I. Spiecker gen. Döhmann, Institut für Informations-und Wirtschaftsrecht, Zentrum für Angewandte Rechtswissenschaft (ZAR), Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Prof. Dr. U. Spuler-Stegemann, Institut für Orientalistik, Philipps-Universität Marburg
Prof. Dr. U. Steinbach, Lehrbeauftragter, Zentrum für Nah- und Mittelost-Studien, Philipps-Universität Marburg
Prof. Dr. Dr. h.c. em. C. Streffer, Universitätsklinikum Essen, Universität Duisburg-Essen
Prof. Dr. C. Thies, Philosophische Fakultät, Universität Passau
Prof. Dr. med H. Towfigh, St. Barbara-Klinik Hamm, Universität Essen-Duisburg
Prof. Dr. Dr. h.c. E.-U. von Weizsäcker, Co-Chair, International Resource Panel, UNEP
Prof. Dr. H. Welzer, Direktor, Center for Interdisciplinary Memory Research am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen, Universität Witten/Herdecke Prof. Dr. M. Winkler, Lehrstuhl für Allgemeine Pädagogik und Theorie der Sozialpädagogik, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Der Brief kann auch als pdf-Dokument in deutscher und englischer Sprache geladen werden.

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