Zur Lage religiöser Minderheiten im Iran

Die Katholische Akademie in Berlin war am 7. Juni Schauplatz für eine „seltene und außergewöhnliche Veranstaltung“, wie der Informationsdienst mehriran.de schreibt. Auf Einladung der Katholischen Akademie, des Nationalen Geistigen Rates der Bahá’í in Deutschland sowie von mehriran.de schilderten Vertreter neuer Christen, der Bahá’í und der Derwische eindrücklich die Situation von Menschen im Iran, die Verfolgung und Ausgrenzung erleiden, weil sie sich anderen Weltanschauungen als der vom Regime im Iran vorgegebenen zuwenden. Die Schilderungen offenbarten große Gemeinsamkeiten hinsichtlich des Verfolgungsdrucks, machten aber auch unterschiedliche Motivationslagen deutlich.
So berichtete Mahin Mousapour, Pastorin einer freikirchlichen Gemeinde aus Frankfurt am Main, von Folterungen und Todesurteilen gegen protestantische Christen, fügte jedoch hinzu, dass noch kein Todesurteil vollstreckt worden sein. „Allein in der zweiten Hälfte 2010 wurden 200 neue Christen festgenommen“, sagte sie. „Im gleichen Jahr wurden in der Provinz Aserbaidschan 300 Bibeln verbrannt.“ Sie berichtete aber auch von der Sehnsucht vieler Iranerinnen und Iraner, sich von einer Ideologie abzuwenden, die sie als brutal und krankmachend erleben und die ihnen von den Vertretern des Systems in Iran als Islam verkauft wird. Laut inoffiziellen Schätzungen leben circa eine halbe Million bekehrte – also neue – Christen im Land, sagte sie. Auf Nachfrage ergänzte sie, dass neue Christen im Iran in der Regel unter keiner bestimmten, einheitlichen Denomination stünden. „Es gibt aber auch Zeugen Jehovas, Mormonen, Baptisten oder Adventisten“, sagte sie.

(v.l.n.r.) Prof. Ingo Hofmann, Mahin Mousapour, Dr. Mostafa Azmayesh, Helmut N. Gabel (Moderator)

Dr. Mostafa Azmayesh, Vertreter des Nematollahi-Gonabadi Sufi Ordens außerhalb Irans, meinte: „Es gibt keine glaubwürdige Statistik über die religiöse Verteilung der Bevölkerung. Iran ist ein Mosaik der Religionen und Ethnien.“ Statistiken über die Zuordnung ethnischer und religiöser Gruppierungen seien daher äußerst unglaubwürdig. „Selbst wenn es sie gäbe, wäre ihre Aussagekraft schwach, da ein Nichtbekenntnis zur offiziellen Religion mit vielen Stigmatisierungen und Ausgrenzungen verbunden ist“, meinte er. Sufi-Derwische werden im Iran verfolgt, weil sie sich zum einen in ihren Werten diametral entgegengesetzt zu dem Regime positionieren und zum anderen das Prinzip der Herrschaft des Obersten Führers nicht akzeptieren, berichtete er. „Ayatollah Mesbah-Yazdi, ein Ideologe des Systems, propagiert die Vorstellung, dass der Islam auf Gewalt basiert, während die Sufis von Toleranz, Freiheit zu Entscheiden und Liebe füreinander sprechen“, ergänzte er.
Prof. Ingo Hofmann, Sprecher der Bahá’í-Gemeinde Deutschland für Menschenrechtsfragen, schilderte eingangs die aktuelle Verfolgungslage an den Bahá’í im Iran. Er verwies dabei auf die Inszenierung der jüngsten Welle von Diskriminierung Ende Mai, bei der Razzien in mehreren iranischen Großstädten erfolgten, mit dem Versuch das Bahá’í Institute of Higher Education zu zerschlagen. Grundlage der Übergriffe sei das Golpaygani-Memorandum des Obersten Rates der Islamischen Kulturrevolution aus dem Jahr 1991. Auch ging er auf das Schicksal der sieben Mitglieder der iranischen Bahá’í-Führung ein, die im August 2010 zu je zwanzig Jahren Haft verurteilt wurden. Hinsichtlich der Anschuldigungen verwies er auf Parallelen zu den neuen Christen und den Derwischen, die ebenfalls als korrupte, vom Ausland gesteuerte Bewegungen dargestellt werden. „Der Iran streitet den religiösen Kontext der Verfolgungen ab, um nicht zur Zielscheibe der internationalen Staatengemeinschaft zu werden“, sagte er. Die Anschuldigungen gegen die Bahá’í und andere reflektierten aber auch die iranische Nationalgeschichte, in deren Verlauf der Iran oft genug Spielball fremder Mächte war. Die Gemeinsamkeiten der Verfolgungen vor Augen, appellierte Hofmann an die Politik, sich nicht nur für eine Religion, sondern sich allgemein für die Religionsfreiheit im Iran einzusetzen.

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