Der Iran beraubt sich seiner eigenen Talente

Der iranische Judoka Khashayar Zarei, der Schachspieler Pedram Atoufi und die Pianistin Pedah Yazdani sind Opfer einer iranischen Politik, die die Entwicklung der iranischen Bahá’í-Gemeinde systematisch blockiert. In jedem anderen Land würden junge und talentierte Menschen als Bereicherung ihres Landes betrachtet. Im Fall der drei jungen Iraner bedeutet ihre Mitgliedschaft in der Bahá’í-Gemeinde jedoch das Aus ihrer Karrieren. Mehr noch: Auch in ihren bürgerlichen Leben werden sie diskriminiert und verfolgt. Der Bahá’í World News Service berichtet von drei Erfahrungen.

Während die iranischen Sportlerinnen und Sportler jede Menge Medaillen von den Olympischen Spielen 2012 in London mit nach Hause brachten, konnte der 19-jährige Khashayar Zarei davon nur träumen. In seiner Alters- und Gewichtsklasse ist Khashayar einer der besten Judoka des Iran. An Wettkämpfen darf er aber nicht teilnehmen. Denn Khashayar Zarei ist Bahá’í. „Trotz der Tatsache, dass ich in meiner Gewichtsklasse dreimal den ersten Platz im nationalen Team machte, wurde es mir wegen meines Bahá’í-Glaubens untersagt, an den asiatischen Meisterschaften teilzunehmen“, schrieb Khashayar in einem Brief, der von der Nachrichtenagentur Human Rights Activists veröffentlicht wurde.
Der Judoka
Damit nicht genug: Vor Kurzem wurde Khashayar wegen seiner religiösen Überzeugungen auch noch vom Architekturstudium an der Universität Schiras ausgeschlossen. Universitätsangestellte sagten ihm, sie hätten einen vertraulichen Brief vom zuständigen Ministerium erhalten, das sie zu diesem Schritt angewiesen habe. Dies entspricht der iranischen Doktrin im Umgang mit den Bahá’í. Sobald bekannt wird, dass ein Student oder eine Studentin Bahá’í ist, muss er oder sie exmatrikuliert werden, heißt es in einem 1991 verfassten Memorandum des Obersten Rates der Islamischen Kulturrevolution.
Khashayar ist nicht der einzige iranische Jugendliche, dessen Hoffnungen zerstört wurden. Antragsformulare zur Aufnahme in Hochbegabtenprogramme enthalten stets die Frage nach der Religionszugehörigkeit. In einem Land, in dem Staat und Religion eine Einheit bilden, ist dies im Kontakt mit den Behörden gang und gäbe. Es ist dadurch ein Leichtes, Bahá’í zu disqualifizieren. Denn die Möglichkeit, diese Zeile nicht auszufüllen, besteht nicht.

Drei iranische Bahá’í, die keine Möglichkeit bekamen, ihre Talente für ihr Heimatland einzusetzen: Die Pianistin Pegah Yazdani, der Judoka Khashayar Zarei und der Schachspieler Pedram Atoufi. Foto: BWNS

Beispiele gibt es viele: Eine Bahá’í-Schülerin aus der Stadt Sari wurde vor Kurzem von ihrer Schule ausgeschlossen. Zwei Weiteren wurde es untersagt, an einer Wissenschafts- und Mathematikolympiade teilzunehmen. In Teheran wurde eine leistungsstarke Bahá’í-Studentin, die in der Technologie-Initiative Robocup einen ersten Platz erzielt hatte, daran gehindert, sich für die nationale und internationale Ebene zu qualifizieren. Bereits im Jahr 2008 erfuhr die Internationale Bahá’í-Gemeinde von Ausschlusskriterien in Marvdasht. Eltern eines Schülers wurde unter der Hand gesagt, dass alle Schuldirektoren der Stadt die mündliche Anweisung erhalten hätten, Schülern der „Bahá’í-Sekte“ und „anderen Minderheiten“ in ihren Schulprüfungen nur schlechte Zensuren zu geben. Natürlich ungeachtet ihrer tatsächlichen Leistungen. Sie sollten damit die Zulassung für die Universitäten verfehlen.
Der Schachmeister
Diese Art des verdeckten Ausschlusses ist nicht neu. Die Internationale Bahá’í-Gemeinde berichtet seit Jahren darüber und nennt die Vorgänge eine „schleichende Strangulierung“. Sie geschieht ohne größeres Blutvergießen, ist jedoch im Ergebnis genauso erfolgreich. Die Mitglieder der größten religiösen Minderheit des Landes werden an den Rand der Gesellschaft gedrängt, dort überwacht, bedroht und gegängelt. Bei Zuwiderhandlungen werden sie zusammengeschlagen, gefoltert und inhaftiert. Kein Bahá’í ist von der möglichen Gefahr ausgenommen. Vor allem auf die jungen Bahá’í hat dies Auswirkungen.
Nachdem Pedram Atoufi 1991 als 16-Jähriger die nationalen Schachmeisterschaften gewonnen hatte, konnte er sein Land dennoch nicht bei den asiatischen Schachmeisterschaften vertreten. Denn auch Pedram ist Bahá’í. Nach der Islamischen Revolution von 1979 war das Schachspielen in Iran ein Jahrzehnt lang verboten. Deshalb war Pedram begeistert, als er nach den Jahren der Unterbrechung die erste nationale Jugendmeisterschaft gewann und sein Land bei internationalen Wettkämpfen vertreten sollte. Als er jedoch einen Reisepass beantragte, wurde ihm ein Formular überreicht, auf dem er seine Religionszugehörigkeit angeben sollte. „Ich schrieb Bahá’í“, sagt er. Der Beamte, der das Formular entgegen nahm, meinte nur: „Wenn Du ‘Bahá’í’ schreibst, wird es nicht leicht, einen Pass zu bekommen.“
Pedram hatte nur eine Möglichkeit: Er musste den Präsidenten des iranischen Schachverbandes aufsuchen. Er hätte ihn mit einem Gruppenvisum doch noch entsenden können. Als der Präsident jedoch hörte, dass Pedram Bahá’í ist, wurde er sehr ungehalten und schickte einen Brief an alle Mitglieder des Verbandes im Land. Pedram Atoufi dürfe an keinen offiziellen Schachwettkämpfen mehr teilnehmen. Das Ergebnis war, dass in jenem Jahr niemand aus Iran an den asiatischen Schachmeisterschaften teilnahm. Pedram Ausschluss lockerte sich jedoch im Laufe der nächsten vier Jahre wieder, so dass er lediglich von den internationalen Wettkämpfen ausgeschlossen wurde. Als sein Team im Jahr 1997 die nationalen Meisterschaften gewann, musste er durch jemand anderen ersetzt werden. Heute lebt Pedram in Scottsdale in Arizona, wo er einen Schachclub leitet. In sein Heimatland kann er nicht zurück – erst vor kurzem wurde ein guter Freund von ihm, der mit ihm zusammen an der Jugendschachmeisterschaft teilgenommen hatte, aus dem Gefängnis entlassen.
Die Pianistin
Auch Pegah Yazdani musste ihre Heimat verlassen. In Iran konnte sie ihre musikalischen Ambitionen nicht weiterverfolgen. So reiste sie 1998 allein nach Moskau, um dort Klavier zu studieren. Den ganzen Flug lang weinte sie. „Gefühlsmäßig war es wirklich eine harte Zeit. Ich war ganz allein”, sagt sie. „Andererseits war ich sehr aufgeregt, weil ich meinen Traum verwirklichen konnte.” Nach fünf Jahren Ausbildung erhielt sie ihren Abschluss und kehrte in der Hoffnung, in Iran auftreten und eine Klavierschule eröffnen zu können, zu ihrer Familie zurück. Ihr wurde am Teheraner Konservatorium sogar eine Teilzeitstelle angeboten. Als jedoch alle Angestellten aufgefordert wurden, ein Formular auszufüllen und dabei ihre Religionszugehörigkeit angeben mussten, wurde Pegah entlassen. Es wurde ihr verboten, zu unterrichten oder Konzerte zu geben.
„Wenn sie ‘Bahá’í’ sehen, schauen sie dich gar nicht mehr an, sondern lehnen einfach das Formular ab“, sagt sie. „Ich wusste, dass ich in Iran nichts tun könnte. Ich würde weder studieren, noch unterrichten können. Ich würde kein normales Leben führen können.“ 2007 wurde sie am Londoner College of Music and Media zugelassen und erhielt einen Master Abschluss in Klavierspiel. Heute lebt sie in Kanada, wo sie sich ganz der Musik verschrieben hat. Sie gibt Konzerte, unterrichtet Klavier und begleitet Ballettaufführungen.
Trotz ihres Leids sagt Pegah – sie ist inzwischen 36 Jahre alt –, dass sie ihr Heimatland noch immer sehr liebt und wünscht, sie könnte wieder dort leben. Sie hofft, dass es den Bahá’í, die in Iran geblieben sind, eines Tages erlaubt sein wird, ihren Beitrag für die Gesellschaft in vollem Umfang zu leisten.
„Der Iran beraubt sich selbst“
Bani Dugal, Sprecherin der Internationalen Bahá’í-Gemeinde bei den Vereinten Nationen meint, die Strategie der iranischen Regierung gegenüber den Bahá‘í heiße auch, dem Land Talente und Kapazitäten vorzuenthalten. „Was der Iran auf sich nimmt, um jungen Bahá’í Bildungschancen vorzuenthalten, wird immer verwickelter und extremer”, sagt sie. „Diese Geschichten sind die traurigen Beispiele einer staatlich geförderten Kampagne, die letzten Endes den Iran jene wertvollen Beiträge beraubt, die einige der begabtesten und besten jungen Menschen des Landes leisten können.”

 

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