Semnan: Bahá’í-Gemeinde unter Beschuss

Seit 2009 werden iranische Bahá’í vor allem im Norden des Landes, in Semnan, immer wieder angegriffen. Sie werden auf Schritt und Tritt überwacht. Mindestens dreißigBahá’í sind in den letzten drei Jahren verhaftet worden, einige verbüßen langjährige Haftstrafen. Ihre Wohnhäuser und Geschäfte wurden in Brand gesetzt oder mussten schließen. Geistliche predigen Hass und selbst Kinder werden schikaniert. Der Bahá’í-Friedhof wurde geschändet.

Nun lädt die Bahá’í-Gemeinde Deutschland für den kommenden Sonntag, 9. Dezember 2012, aus Anlass des Internationalen Tags der Menschenrechte zu einer interreligiösen Andachtsversammlung ins Europäische Bahá’í-Haus der Andacht in Hofheim-Langenhain ein. Gemeinsam mit Gästen aus der Evangelischen Kirche und der muslimischen Gemeinde wird insbesondere den Opfern der Menschenrechtsverletzungen in Semnan gedacht.

Die Bahá’í-Gemeinde Deutschland drückte in einem Brief an die Bundesregierung ihre große Sorge über die Vorkommnisse aus. Es bestehe der Eindruck, dass Semnan als Schwerpunktregion für Maßnahmen gegen die Bahá’í in Iran ausgewählt wurde. „Die Belege aus Semnan haben sich im Laufe der letzten Jahre derart summiert, dass wir auf eine durch die Regierung orchestrierte Kampagne gegen die Bahá’í schließen“, schrieb der Sprecher für Menschenrechtsfragen der Bahá’í-Gemeinde Deutschland, Professor Ingo Hofmann, an die Bundesregierung. „Offensichtlich ist es Ziel der Behörden, die Bahá’í zu terrorisieren, um der Staatsdoktrin der Islamischen Republik, die Bahá’í-Gemeinde als lebensfähige Einheit zu eliminieren, gerecht zu werden.“ Am 14. November 2012 drückte der Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe, Markus Löning, in einer Stellungnahme seine Besorgnis über die Geschehnisse in Semnan aus.

Inzwischen hat die Bahá’í-Gemeinde Deutschland auch einen 52-seitigen Bericht zur Lage der Bahá’í in Semnan veröffentlicht. Sie können den Bericht in deutscher Sprache als pdf-Datei hier auf Ihren Rechner laden. Der Bericht erscheint vor einer interreligiösen Andachtsversammlung im Europäischen Bahá’í-Haus der Andacht am Sonntag, 9. Dezember 2012, mit der den Opfern in Semnan gedacht werden soll. Teilnehmen werden auch OKR Dr. Martin Affolderbach vom Kirchenamt der EKD in Hannover und die Vorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes, Caroline Neumüller. Sie stehen im Anschluss der Andacht zusammen mit dem Abteilungsleiter Integration des hessischen Justizministeriums, Dr. Walter Kindermann, und dem Sprecher der Bahá’í-Gemeinde Deutschand für Menschenrechte, Prof. Ingo Hofmann, der Moderatorin Ferah Aksoy-Burkert über „Religionsfreiheit und ihre Grenzen“ Rede und Antwort. Weitere Informationen erhalten Sie hier.

26 Bahá’í zu insgesamt 70 Jahren Haft verurteilt
Die überproportionale Anzahl an Übergriffen gegen die Bahá’í-Bevölkerung in Semnan begann nach einer Serie von Anti-Bahá’í-Seminaren und Kundgebungen, die Ende 2008 und Anfang 2009 in der Stadt organisiert wurden. In der Folge wurden die Häuser von etwa zwanzig Bahá’í durchsucht und Materialien, Rechner und Mobiltelefone konfisziert. Neun Bahá’í wurden aufgrund falscher Anklagen, die ausschließlich mit der Ausübung ihrer Religion zu tun hatten, verhaftet. Seit 2009 wurden 26 Bahá’í aus Semnan zu ingesamt über 70 Jahren Haft verurteilt. Acht von ihnen verbüßen derzeit Haftstrafen von sechs Monaten bis zu sechs Jahren.
Einer von ihnen ist Adel Fanaian. Er wurde vor drei Monaten aufgrund von konstruierten Anklagen inhaftiert, wonach er einer Gruppe mobilisiert habe, „die die nationale Sicherheit stören wollte“, und „Propaganda gegen das heilige Regime der Islamischen Republik Iran“ betrieben habe. Er muss eine sechsjährige Haftstrafe verbüßen. Hinter den falschen Anklagen steckt sein Engagement für die so genannten Kinderklassen der Bahá’í. Das sind Kindergruppen, bei denen Kinder über Werte und Tugenden unterrichtet werden, die allen Religionen zu eigen sind. Auch wird religionskundliches Wissen gelehrt. Außerdem hatte er im Rahmen des Bahá’í Instituts für Höhere Bildung (BIHE) jungen Menschen geholfen, einen Hochschulabschluss zu erlangen.
Ein weiterer Bahá’í verbüßt seit seiner Haftentlassung eine Exilstrafe. Vier weitere sind gegen Kaution auf freiem Fuß und warten auf ihre Verhandlung. Weitere acht Personen sind verurteilt, warten jedoch auf das Ergebnis ihres Einspruchs oder die Aufforderung, ihre Haftstrafe anzutreten. Einige andere wurden lediglich verhört.
„Viele Bahá’í haben gute Freunde unter den Muslimen“
Die Sprecherin der Internationalen Bahá’í-Gemeinde am Sitz der Vereinten Nationen in New York, Bani Dugal, hält die Mehrheit der Bevölkerung von Semnan trotz der hasserfüllten Propaganda für nicht gegen die Bahá’í eingestellt. Viele pflegen sogar mit ihnen Umgang. „Viele Bahá’í sind mit Muslimen verwandt oder haben gute Freunde unter den Muslimen”, bemerkte sie. „Die Situation sollte von allen, die Rechtsstaatlichkeit und die Einhaltung der Menschenrechte in Iran wiederherstellen wollen, sorgfältig untersucht werden. Die Angriffe der halboffiziellen Kräften oder von Personen in Zivil sind ein heimtückischer Versuch der iranischen Regierung, sich über internationale Rechtsnormen hinwegzusetzen – ohne direkt Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.“ Sie forderte alle Regierungen auf, die eklatanten Menschenrechtsverletzungen in Iran zu verurteilen. „Iran gehört zu den Unterzeichnern der Abkommen, in denen diese Menschenrechte definiert wurden.”
Für die Bahá’í in der Islamischen Republik Iran sind Verfolgungen schon seit den Anfängen der Religion in der Mitte des 19. Jahrhunderts Teil ihres Lebens. Seit der Islamischen Revolution von 1979 sind die Bahá’í jedoch einer staatlich geförderten Verfolgungsstrategie ausgesetzt. Sie erleiden mit systematischen Kampagnen, die seit 2005 zunahmen und seit 2008 deutlich intensiviert wurden, unzählige Razzien, Verhaftungen und Inhaftierungen. So sind derzeit 116 Bahá’í wegen ihrer Religionszugehörigkeit in iranischer Haft.

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