Die Bahá’í-Perspektive auf das Thema Religionsfreiheit ergibt sich aus den Heiligen Schriften sowie der autoritativen Auslegung durch Abdu’l-Bahá, den Sohn des Religionsstifters Bahá’u’lláh. Zusätzlich dienen die Stellungnahmen der Bahá’í International Community (BIC) als wichtige Erkenntnisquelle, da diese Organisation die Mitglieder der weltweiten Bahá’í-Gemeinde gegenüber den Vereinten Nationen repräsentiert.
Die Heiligen Schriften der Bahá`í betonen, dass dem Einzelnen zum Fortschritt der Gesellschaft einerseits und für die Entfaltung seiner Persönlichkeit andererseits eine selbständige und unabhängige Suche nach Wahrheit ermöglicht werden muss. Daher sehen die Bahá’í die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit als ein fundamentales Recht jedes Menschen an, welches auch das Recht auf den Wechsel der religiösen Überzeugung und Praxis beinhaltet. So proklamiert der Religionsstifter Bahá’u’lláh: „Der Glaube eines Menschen kann nur von ihm selbst abhängen.“ Abdu’l-Bahá verdeutlicht dies anhand eines Vergleichs mit der Gedankenfreiheit im politischen System:
„Just as in the world of politics there is need for free thought, likewise in the world of religion there should be the right of unrestricted individual belief. Consider what a vast difference exists between modern democracy and the old forms of despotism. Under an autocratic government the opinions of men are not free, and development is stifled, whereas in democracy, because thought and speech are not restricted, the greatest progress is witnessed. It is likewise true in the world of religion. When freedom of conscience, liberty of thought and right of speech prevail — that is to say, when every man according to his own idealization may give expression to his beliefs — development and growth are inevitable.“
Diese Lehre bekräftigend führt die BIC aus, dass die Gewährung des Rechts auf Gewissens-, Glaubens- und Religionsfreiheit die Wahrnehmung weiterer Menschenrechte überhaupt erst ermöglicht:
„Unter diesen Rechten sind vor allem die Gewissens-, Glaubens- und Religionsfreiheit – in dieser Erklärung ohne Einschränkungen verankert – zur Sicherung der Würde jedes Menschen von grundlegender Natur. Noch immer wird in vielen Teilen der Welt dem Einzelnen das Recht auf die Freiheit etwas zu wissen und etwas zu glauben kategorisch verweigert. Mensch zu sein bedeutet aber, nach der Wahrheit zu suchen. Ohne Gewissensfreiheit, ohne die Möglichkeit, die eigenen Glaubenssätze zu wählen, sie zu wechseln und zu praktizieren, ist es schwierig, wenn nicht gar unmöglich, jegliche anderen Rechte wahrzunehmen. Seit vielen Jahren suchen daher verfolgte Menschen und Gemeinden Zuflucht unter dem Schutz dieses Rechts. Auf Basis seiner eindeutigen Bestimmungen über Gewissens-, Glaubens- und Religionsfreiheit haben Bahá’í sowie andere religiöse Minderheiten seinen Schutz erfahren.“
Die Bahá’í betrachten es daher als ihren Kernauftrag, ihren Beitrag dazu zu leisten, dass die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vorgesehene Weltgemeinschaft für alle Menschen erfahrbar und fruchtbringend wird:
„Heute bemühen sich die Bahá’í mit erneuter Dringlichkeit und Energie darum, die Weltgemeinschaft ins Leben zu rufen, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vorgesehen ist. Die weltweite Bahá’í-Gemeinde verpflichtet sich, mit diesen Bemühungen fortzufahren, sie zu verstärken und sich mit anderen zusammen zu tun, um jede Form von Vorurteilen zu beseitigen, die Extreme von Reichtum und Armut zu verringern, die volle Gleichberechtigung von Mann und Frau zu erreichen, die nachhaltige Entwicklung zu fördern und das Verständnis der Weltreligionen untereinander zu verbessern.“ (BIC)
Zu diesem von einer „Brüderlichkeit“ getragenen wechselseitigen Verständnis können Religionsgemeinschaften nur beitragen, wenn jedem Menschen die freie Religionswahl gewährleistet wird.